Vertrauen an der Schulter

Die Reise, die Lesung in den Knochen, der wenige Schlaf im Gesicht. Dann das junge Mädchen, das im Zug von Hamburg auf deinem Platz sitzt. Schminke verschmiert, Hose zerschlissen, Hemd verdreckt, Haar verfettet. Kurz der Ärger, dass sie auf deinem Platz sitzt, sie offensichtlich zugedröhnt ist. Dann der Gedanke, dass du nichts von ihr weißt, ihre Geschichte nicht kennst. Du setzt dich neben sie, sie tut dir allmählich leid. Dann erwacht sie kurz, atmet tief, murmelt etwas Unverständliches, schaut dich aus dem Nirgendwo an, als wärest du ihr irgendwie vertraut. Sie fällt zurück in den Schlaf, in dieses Nirgendwo, ihr Kopf jetzt gegen deine Schulter gelehnt. Das Mitleid wächst deine Brust entlang. Erst wolltest du sie wegscheuchen, jetzt bewegst du dich keinen Zentimeter mehr, um sie bloß nicht zu wecken. Dann Hannover, die Beamten, die sie aufwecken, sie mitnehmen. Und das Vertrauen, das noch immer irgendwie an deiner Schulter hängt. Und die Frage, was ihr Geschichte ist. 

Deutsche Bahn, irgendwo Höhe Kassel-Wilhelmshöhe.

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