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Geschichte/n schreiben im Anthropozän (Podiumsdialog)

September 5 @ 6:00 am - 7:30 pm

Problemstellung

Die Diskursformation der Historiographie ist bestrebt, historische Entwicklungen als großes und zusammenhängendes Ganzes darzustellen und historische Einzelereignisse im Sinne linearer, kausaler und kohärenter Verknüpfungen einzuordnen. Diese Vorgehensweise ist immer wieder einer grundsätzlichen Kritik unterzogen worden; immer wieder wurden die Prämissen von Kontinuität, Linearität, Kohärenz, Kausalität, Teleologie oder Referenzialität radikal in Frage gestellt.

Traditionelle historiographische Ansprüche und die Kritik daran bewegen sich in eine doppelte Aporie: Einerseits enthalten die Prämissen der Geschichtsschreibung in ihrem Inneren bereits Selbstwidersprüchliches, vor allem, weil sie in der praktischen narrativen Überformung nie vollständig eingelöst werden können. Andererseits führt die grundsätzliche Hinterfragung historiographischer Ansprüche in das Dilemma der Ratlosigkeit: Wie soll und kann zukünftig Geschichte noch geschrieben werden?

Die schwierigen Aushandlungen des Verhältnisses von materialbasierter, „quellengesättigter“ historischer Forschung auf der einen Seite und ihrer mehr oder minder bewussten darstellerischen Gestaltung auf der anderen Seite können auf eine lange Tradition zurückblicken, die von Aristoteles bis Hayden White reicht. Unter den Vorzeichen des Klimawandels sowie unter den Prämissen eines identifizierten Anthropozäns scheint diese Diskussion allerdings noch einmal eine andere Richtung einzuschlagen. Denn nun stellt sich mit Nachdruck die Frage, wie eine Geschichtsschreibung noch aussehen kann, die sich auf eine solcherart grundsätzlich veränderte Situation einzulassen hat. Der Verdacht liegt nahe, dass es gerade literarische und andere künstlerische Erzählformen sind (Film, Fernsehserie, bildende Künste), die mit ihren experimentellen Darstellungsweisen Möglichkeiten für eine andere Historiographie anbieten. Dem Medium Literatur und anderen Künsten kann also eine seismographische Funktion bezüglich der Implementierung geschichtstheoretisch relevanter Entwicklungen attestiert werden.